50 Jahre SP Maur
Anfang der 1970er-Jahre setzte sich eine Gruppe engagierter Maurmer Einwohner – allen voran die Familie Spiess von der Forch – erfolgreich ein für die Rettung der Mühle Maur vor dem Abbruch, und dies buchstäblich in letzter Minute. Ein Teil der Gruppe gründete anschliessend den Verein Pro Maur, ein zweiter Teil beschloss die Gründung der SP Maur.
So erhielten im Mai 1972 alle Stimmbürger(innen) von Maur einen Einladungsbrief – unterzeichnet von Peter Hug, Heinrich Rieder, Heiner Spiess und Ruedi Unholz – für eine Versammlung zum Start der neuen Ortspartei. Die Initianten beklagten in diesem Brief, «dass unsere Gemeinde durch Bauordnung, Steuerfuss, Boden- und Verkehrspolitik möglichst viele Begüterte als Neuzuzüger anlockt und es anderen Agglomerationsgemeinden überlässt, Wohnraum für Leute mit bescheidenem Einkommen zu schaffen», und weiter: «Finden Sie es nicht an der Zeit, den sozialen Wohnungsbau durch Unterstützung von Wohnbaugenossenschaften zu fördern, damit junge Ehepaare, ältere Leute mit AHV-Einkommen, Arbeiter und Angestellte, Fremdarbeiterfamilien in unserer Gemeinde wohnen können?» Ferner wird u.a. die schlechte Erschliessung durch den ÖV erwähnt (der letzte Bus fuhr damals um 20 Uhr).
Die Gründung erfolgte dann am 2. Juni an einer Versammlung mit 23 Interessierten. Die junge Sektion machte sich mit Eifer an die Arbeit: Bildung von Arbeitsgruppen, Diskussion der kommunalen Geschäfte (Busspätverbindung, Spital in Binz, Hochleistungsstrasse, Altersfragen usw.) und kantonalen und eidgenössischen Vorlagen mit Parolenfassungen und Unterschriftensammlungen.
In der Frühphase trafen sich die Mitglieder mehrmals zu Klausurtagungen an Wochenenden in Bettswil, wo man sich, wie das in der SP gerne gemacht wird, aus den Niederungen der kommunalen Politik emporschwang zu ernsthaften, aber ausschweifenden und sehr kontroversen Diskussionen darüber, wie die Welt als Ganzes auf den rechten, nein auf den richtigen Weg gebracht werden kann. Lokal hingegen hat z. B. 2013 der langjährige Sektionspräsident Peter Gröbly zusammen mit Ueli Fischer mit der ästhetisch ansprechenden und bezahlbaren Überbauung Winkelhof in Aesch einen Kontrapunkt gesetzt.
In der Gemeinde musste die SP merken, dass ihre vorher erwähnten und weiteren Anliegen von der Mehrheit abgelehnt wurden und dass Maur politisch ein steiniger Acker war (und immer noch ist!). So gewährten die Stimmberechtigten mit einer Ausnahme (Schulpflege Peter Beck 1974–1978) der SP erst spät die Mitwirkung in den Behörden.
- Gemeinderat: Elisabeth Brüngger (2002– 2014), Felix Senn (2010–2022);
- Schulpflege: Peter Jakoubek (2002–2010), Hansruedi Bolt (2010–2018), Benjamin Goldschmidt (seit 2022);
- Sozialbehörde: Marianne Daepp (2010–2014).
Elisabeth Brüngger war mit 18 Jahren das jüngste Gründungsmitglied der SP Maur, 30 Jahre später die erste SP-Gemeinderätin. Sie verantwortete u.a. die Bau- und Zonenordnung 2010 und im Stiftungsrat der Zollinger-Stiftung als Delegierte des Gemeinderats die Erweiterung/ Renovation des Bestandes und den Neubau sowie die Integration der Spitex in das Pflegezentrum Forch.
Auf kantonaler Ebene sind folgende Mandate zu nennen:
- Im Kantonsrat: Max Meier (1982–1987) und Ruth Gurny (1995–2005);
- Am Obergericht: Ruth Bantli Keller (seit 2019).
Frei nach Bertolt Brecht «Die einen stehn im Licht, die im Dunklen sieht man nicht» sei zuerst an die Sektionspräsident(inn)en erinnert, welche ihre Arbeit oft unauffällig im Hintergrund erbringen. Es sind dies: Heiner Spiess, Mario Galli, Emmanuel Steck, Ruth Gurny, Felix Senn (für zwei Jahre vertreten durch Karin Weissenberger), Walter Ammann, Peter Gröbly, ab 2018 der Vorstand im Kollektiv mit Mario Galli als Sekretär.
Weiter denken wir, stellvertretend für viele anonyme, aber treue Mitglieder, an Renata Brüngger, ebenfalls schon bei der Gründung dabei, die sich als kämpferische Sozialistin mit Charisma und Standfestigkeit in einem bäuerlichen Umfeld behauptete, und an Mario Galli, der sich über Jahrzehnte in verschiedenen Funktionen für die SP eingesetzt hat, dazu in der Kulturkommission mitwirkte und als Präsident im Verein Museen Maur tätig ist.
Im Verhältnis zu den übrigen Ortsparteien gab es neben gelegentlichen Querelen durchaus Beispiele für konstruktive, erfreuliche Zusammenarbeit. Man hat sich ein Stück weit aneinander gewöhnt. Als Kuriosum sei erwähnt, dass die SP im März 2010 den damaligen Grünliberalen ein Wahlinserat bezahlte. Aktuell planen die Ortsparteien eine gemeinsame Veranstaltung zu den Kantonsratswahlen.
Im Laufe der Jahre gab es neben den Sektionsversammlungen auch:
- Filmvorführungen (z.B. «Lieber Herr Doktor» zur Fristenlösung mit Besucherrekord; «Aufpassen macht Schule», «Mehr Atomkraftwerke»);
- Sommerfeste mit Familien;
- Themenforen mit Referent(inn)en, u. a. Liliane Uchtenhagen, Andy Gross, Pedro Lenz, Ueli Mäder, Franziska Herren, angeregt und umsichtig moderiert durch Urs Abt. Urs war seinerzeit schon ein aktives Mitglied der Gruppe «Pro Maur», zusammen mit seinem Freund Martin Liechti, dem fleissigen Leserbriefschreiber. Beide sind leider 2022 bzw. 2021 verstorben.
- Im vergangenen Frühling fand eine Veranstaltung mit Carsten Goerke zur Ukraine statt, organisiert durch Benjamin Goldschmidt.
Eine Erfolgsgeschichte ist das «Kino in der Mühle Maur». Seit 25 Jahren werden jeweils im Winter monatlich sorgfältig ausgewählte Spiel- und Dokumentarfilme gezeigt. Die häufig ausverkauften Vorstellungen bieten nicht nur cineastisches Vergnügen, sondern verschaffen oft Einblick in interessante Themen, wie z.B. «Schwarzarbeit» letzthin. Es wurde angekündigt, dass diese echte Bereicherung des kulturellen Lebens von Maur im Frühjahr 2023 leider beendet wird. Wir wünschen uns, dass jüngere, sozial und ökologisch denkende Menschen das Kinoprojekt weiterführen, mit hoffentlich belebender Nebenwirkung auf die SP Maur.
Es liegt im Selbstverständnis der SP, sich nicht nur mit lokalen Angelegenheiten zu befassen. Die vergangenen Jahre waren für uns nicht einfach. Dass vieles nur an der «Performance» gemessen wird, dass das schleichende Gift des Neoliberalismus vor linken Köpfen nicht Halt macht und dass es nicht cool ist, sich für wirtschaftlich Schwache, Minderheiten, Flüchtlinge usw. einzusetzen: Das macht Mühe und Resignation kann bei den Mitgliedern aufkommen. Aber es gibt noch viele Aufgaben, z.B. die Verteidigung und Stärkung der AHV. Sie ist ein wichtiges Instrument gegen die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich.
Ein leidiges Thema ist die intransparente Parteienfinanzierung. Was im nahen Ausland als illegal und korruptionsanfällig gilt, wird von bürgerlichen Politikern sogar als «Stärke des Milizsystems» gelobt. Dabei möchte man doch wissen, wer durch Zuwendungen versucht, z. B. in der Steuer-, Landwirtschaft- und Gesundheitspolitik Sonderinteressen durchzusetzen. Auf Bundesebene konnten in letzter Zeit einige finanzpolitische Abenteuer mit Referenden gestoppt werden.
Für die Mehrheit der Bevölkerung hat sich das Verhältnis zum Staat in letzter Zeit eher im Sinne
der SP verbessert. Leider waren dazu einige Katastrophen und Covid notwendig. Standpunkte der SP zur Energie-, Verkehrs-, Klimapolitik usw., früher von der bürgerlichen Mehrheit als unrealistisch abgelehnt, haben sich im Nachhinein bewährt. In einer Demokratie muss eine Mehrheit überzeugt werden und das kann dauern. Für Maur darf hier an den Einsatz unseres ehemaligen Gemeinderats Felix Senn für kommunale Energiemassnahmen erinnert werden, ferner an eine Eingabe der Sektion zur Biodiversität (vom Gemeinderat abgelehnt), kurz vor der Einzelinitiative Gallizzi «Rettet die Bienen». Gemeinsam mit dem Natur- und Vogelschutzverein werden wir uns dafür einsetzen, dass der Beschluss der Gemeindeversammlung tatsächlich umgesetzt wird.
Erschienen in der Maurmer Post, Freitag, 16. Dezember 2022